Eötvös Péter - Die Erfahrungen in Ungarn nach dem Fall des Kommunismus

 

Motto von Sándor Márai, Schriftsteller:

„Der Kommunismus ist restlos untergegangen. Jedoch die Kommunisten loszuwerden ist eine sehr schwierige Aufgabe. Keiner ist so hartnäckig und gefährlich, wie ein Nutznießer eines untergegangenen Systems. Er verteidigt nicht mehr die Idee, sondern sein nacktes Leben und die Beute.“   

 

In dieser internationalen Konferenz, besetzt mit Referenten aus mehreren, ehemals kommunistischen Staaten, muss ich feststellen, dass sich nach 1989 die Entwicklung in den verschiedenen Staaten recht unterschiedlich gestaltet hat. Die Ergebnisse sind deshalb nicht miteinander vergleichbar. Der Hauptunterschied sehe ich darin, dass die Behandlung der einstigen Staatsparteien und deren Funktionäre recht unterschiedlich gehandhabt wurden.

Hierzu darf ich einige Bemerkungen vorausschicken:
Nach dem II. WK, spätestens aber bis 1948, haben die Kommunisten mit aktiver Hilfe der Sowjets in allen besetzten Staaten die absolute Macht erreicht. Dies geschah mit blankem Terror und geschickt angewandter Ideologie, in der die Supremate der Sowjets das A und O waren. Das uralte Prinzip der Zuckerbrot und Peitsche hat gut funktioniert.

Was danach geschah, ist bekannt. In allen Ländern herrschten die Kommunisten bis zum Untergang der Sowjetunion.

In Ungarn hat die Geschichte leider einen „ungarischen Weg“ gewählt. Die Staatspartei, und somit der Staat, hatte bereits in den Achtziger Jahren erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten zu vergewärtigen, die auch nicht mit Hilfe westlicher Kredite zu lindern waren. Gerade das Gegenteil trat ein; die riesigen Tilgungsraten der zuvor aufgenommenen Kredite verursachten die eigentliche Hauptschwierigkeit, da sie mit der veralteten und vernachlässigten Industrieproduktion wirtschaftlich nicht zu bedienen waren.
Als vermeintliche Lösung und Weg aus der Krise wurden verschiedene Gesetze erlassen, die über verschleierte Wege den Kapitalismus in das sozialistische System hineinschmuggeln sollten.

Da der Kapitalismus ohne Kapitalisten nicht vorstellbar ist, wurden folgerichtig die staatlichen Produktionsanlagen im Zuge der Privatisierung ohne großes Aufheben in die Hände der Parteinomenklatur gespielt. So wurden die ehemalige Parteisekretäre und sonstigen Funktionäre Eigentümer von großen Teilen des Staatseigentums. Auf diese Weise tauschte die Partei rechtzeitig, zum Teil noch vor der Wende, die politische Macht gegen die wirtschaftliche Macht ein. So konnten sie 1989/90 leichten Herzens einem neuen politischen System und einer neuen, nichtkommunistischen Regierung, die aber mit sehr begrenzten finanziellen Mittel ausgestattet war, zustimmen.

Die Geschichte hatte eine zweite, nicht minder wichtige Seite. Ich rede von den Geheimdiensten, ungarischer und sowjetischer Prägung. Es ist heute mehrfach nachgewiesen, dass die Partei und ihr Geheimdienst bei der Umgestaltung des Systems gar nicht untätig waren. Ihre zahlreichen Agenten hatten klare Anweisungen, um die neue bürgerliche Bewegung zu infiltrieren und von Innen in die, von den Kommunisten gewünschte Richtung zu lenken, zu desinformieren, und somit die Lustration – die Bereinigung des öffentlichen Lebens – im Keime zu ersticken.

Im ersten frei gewählten Parlament saßen dutzende, von der Partei und dem Geheimdienst delegierte Abgeordnete. Und die erste frei gewählte Regierung war auch nicht frei von Kommunisten oder diesen ideologisch nahe stehenden Beamten. Abgesehen davon, dass auf dem Weg nach Damaskus ein noch nie dagewesener Verkehr herrschte. Es hat ungewöhnlich viele plötzliche Erleuchtungen gegeben, nach denen einstige Parteigänger plötzlich doch Untergrundkämpfer der Opposition waren. Die 800.000 (Achthunderttausend) ehemaligen Parteimitglieder wollten in den neuen Entwicklungen nicht den Kürzeren ziehen. Es ist menschlich verständlich, da bestimmt nicht alle Mitläufer der Partei Verbrecher waren.

Das Problem ist aber, dass unter diesen Verhältnissen die Säuberung der Vergangenheit nicht oder nur unvollständig vollzogen werden konnte. Zweifellos sind einige ehrliche Bestrebungen unternommen worden, um die kommunistische Vergangenheit gerecht zu beurteilen und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen; das hieß zum Beispiel, die führenden Funktionäre der Partei aus dem öffentlichen Leben auszuschließen und die unrechtmäßig geraubten Eigentümer den ursprünglichen, rechtmäßigen Besitzern zurückzuerstatten. Zwei Abgeordnete haben sich um das Thema sehr verdient gemacht: Die Herren Dr. Zsolt Zétényi und Peter Takács reichten dem Parlament einen Gesetzesvorschlag ein.  Der Vorschlag, der inhaltlich mit der Unterstützung vom Großteil der Gesellschaft rechnen konnte,  hätte die Grundlage der Bereinigung des öffentlichen Lebens werden können. Der Gesetzesvorschlag hat die sogenannte Lustration sowie die Zurückerstattung aller in all den Jahrzehnten geraubten und verstaatlichen Güter gefordert.

Das Parlament hatte dem Gesetzesvorschlag zwar zugestimmt, er wurde jedoch vom Verfassungsgericht gekippt. Nach damaliger Meinung des Verfassungsgerichts, bzw. vielmehr dessen Präsidenten, war das Lustrationsgesetz nicht verfassungskonform. Dabei ist anzumerken, daß das neue Grundgesetz seit 2012 das ursprüngliche Zétényi-Takács Vorhaben voll enthält.

Diese Vorgeschichte macht deutlich, warum es nach 1989-90 nicht möglich war, die Kommunisten, die nachweislich Verbrechen begangen haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Oftmals wegen willkürlich bestimmten Verjährungsvorschriften, Es war nicht möglich, sie aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen; sogar das Gegenteil passierte. Die zweite Regierung nach der Wende wurde von der Nachfolgepartei der ungarischen kommunistischen Partei unter Führung von Ministerpräsident Gyula Horn gestellt. Gyula Horn war 1956 selbst Mitglied der kommunistischen Parteiarmee, die die Aufständischen bekämpfte und bewaffneten Terror ausübte. Als er im Parlament damit konfrontiert wurde, war seine kurze Erwiderung lapidar: „Na und?“. Diese zynische Antwort zeigt, dass sich die ehemaligen Kommunisten absolut sicher fühlten.

Die zu lang währende kommunistische Herrschaft hinterließ zahlreiche negative Nachwirkungen in unseren Leben. Das schlimmste ist aber, dass es ihr durch hartnäckige Indoktrination gelungen ist, in den Köpfen Verwirrung und Orientierungslosigkeit zu stiften. Damit haben sie die traditionellen, insbesondere die christlichen Werte in Frage gestellt. Unsere Aufgabe ist nun, diesem nihilistischen Trend entgegenzuwirken, und durch aktives bürgerliches Engagement unsere christliche Weltanschauung der breiten Bevölkerung, vor allen Dingen aber der Jugend, nahe zu bringen.

Wir, die Stiftung Verbrechen des Kommunismus, arbeiten gemeinsam mit der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung intensiv an diesem Programm. Wir veranstalten regelmäßig gut besuchte Konferenzen, in denen wir versuchen, mit renommierten Referenten die Verbrechen des Kommunismus darzulegen.

Die über 40 Jahre des kommunistischen Systems haben eine Art Passivität über das ganze Land gezogen. Diese Passivität wirkte im politischen Leben, in der Wirtschaft, und im Gemeinschaftsleben. Diejenigen, die versucht haben, aktiv zu werden, sind recht schnell gegen die Wand der Verbote der Partei gerannt. Leider war diese Erfahrung so tiefgreifend, dass sie bis heute, 25 Jahre nach der Wende, noch nachwirkt.